Donnerstag, 26. Juni 2025
Flat White und Good-Morning-Pilates

Heute möchte sie es "mal versuchen". Ein Test und wenn das klappt, geht es auch am Nachmittag. Gemeint ist meine Mutter und der Test bezieht sich auf Autofahren. Sie ist sich nicht sicher, ob sie schon "stark genug" dafür ist. Nach OP (etwas über drei Wochen her) und der Schwächephase danach. Sie hadert mit der Zeit, als sie mal eben locker mit Freundinnen den halben Wald durchwalkt hat und dabei noch genug Luft für ausgiebiges Tratschen hatte. Das geht zur Zeit tatsächlich nicht, aber eine Fahrt zum Supermarkt mit dem Auto traue ich ihr zu. Sie hat ja meinen Vater dabei, sagte sie und interpretierte seine Präsenz als Sicherheit und Stütze im Falle eines Falles. Für mich ist er eher das Gegenteil. Er ist die Person, die gesichert und gestützt werden müsste. Aber nun denn, die zwei regeln das schon. Ich habe festgestellt, dass eine Einmischung meinerseits zum einen nichts bringt und mich außerdem sehr stresst. Also lasse ich es bleiben, beglückwünsche sie zur Entscheidung, halte mir den Nachmittag aber trotzdem frei, falls ich als Fahrer für meinen Vater agieren muss. Der hat nämlich mit seinem Auto einen Werkstatttermin, selbigen bei einem völlig überteuerten Händler, der sich bei dem Gedanken an den heutigen Nachmittag jetzt schon die Hände reibt, weil er einem arglosen alten Mann wieder irgendwelchen Schrott andrehen kann. Die alte Mühle braucht keine Reparatur, sicher auch keine neuen Felgen oder aufwändige Schönheitsreparaturen. Mein Vater fährt nur noch selten, dann kurze Strecken und eigentlich wäre es am besten, wenn das Ding den Geist aufgibt, kurz nachdem einer der Typen, die immer Zettel mit "Ich kaufe jedes Auto!" dranhängen, es gekauft hat. Wird leider nicht passieren.

Jedenfalls fährt mein Vater sein Auto zu diesem Händler, kommt dann aber nicht nach Hause. Der Händler hatte früher einen Heimfahr-Service, hat er aber nicht mehr. Bzw. hat er sicher noch, aber nicht mehr für normale Kunden; dieser Service ist für die Firmenwagenfahrer des Software-Ladens vorbehalten, die die paar Meter aber auch laufen könnten, anstatt sich mit vom "Hol- und Bring"-Service direkt vor die Firmenzentrale kutschieren zu lassen, um dort noch schnell einen Flat White einzupfeifen, bevor das "Company-Good-Morning-Pilates" losgeht. Weil so schönes Wetter ist, heute auf der Piazza vor den Food Court.
Mein Vater arbeitet nicht bei dem Software-Laden, also gibt es für ihn auch keinen Flat White, kein Good Morning Pilates und vor allem wird er auch weder geholt, noch gebracht. Zumindest nicht von dem Händler. Er erwartet das aber von mir. Mein Hinweis, dass ich arbeite, lässt er nur bedingt gelten. Taxi ist ihm zu teuer. Klar, das Geld ist in einer Unterbodenwäsche (der sicher völlig verdreckt ist vom in der Garage rumstehen) und Nummernschildpolitur viel besser angelegt. Deshalb soll der Erstgeborene das Familienoberhaupt nebst Rollator doch bitte zu einer festgeschriebenen Zeit vor den Toren des Händlers abholen. Im Hinblick auf ein in hoffentlich weiter Zukunft anstehendes Erbe habe ich zugesagt. Aber nun möchte meine Mutter diesen Job übernehmen... sofern der Einkaufstest heute morgen positiv verläuft. Was ich sehr hoffe. Für sie, für mich und für den Seelenfrieden aller Beteiligten. Der Einzige, dem das alles egal ist, ist der Händler. Der druckt sicher gerade die ganzen Auftragsbestätigungen aus, damit das heute mittag schon bereit liegt.

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