Donnerstag, 16. Mai 2019
Schlammrot

Früher arbeitete in dem Laden ein Herr alter Schule. Das Jacket gemustert in diesem Grün, an das man bei Gallenflüssigkeit denkt, mit braunen Karo-Streifen, deren Farbassoziation auch nicht wirklich schön ist. Überhaupt war er eigentlich kein Aushängeschild des Ladens, aber seine Beratung war gut. Mit schnellem Griff vermaß er die relevanten Stellen am Körper und führte einen dann zielsicher an das Regal mit den korrekten Formen und Größen. Für Hemden dauerte der Einkauf nie länger als fünfzehn Minuten, bei einem Mantel konnte es schon mal eine halbe Stunde werden, aber auch nur, weil man sich unsicher war, ob seine Aussage, man solle doch zu dem braunen Mantel greifen, das wirke frischer und man sei ja noch nicht in dem Alter für Einheitsgrau, ein Scherz sein sollte oder ob er braun tatsächlich mit frisch verbände. Im Hinblick auf sein eigenes Jacket durchaus möglich.

Er scheint nicht mehr dort zu arbeiten, zumindest habe ich ihn bei meinen letzten beiden Besuchen nicht mehr gesehen. Dafür arbeitet nun ein junger Mann. Auch er geschmacklich etwas daneben; die Hosen eine Spur zu eng und/oder unpassend geschnitten, die Frisur eher nicht vorhanden und die Haare in ein schlammartiges Rot gefärbt - ein farbdeplaziertes Pendant zum Jacket seines Vorgängers. Aber auch hier ist die Beratung gut, man wird vermessen, bekommt sein Regal und der Einkauf geht ähnlich schnell wie früher. Allerdings habe ich bisher nur Hemden dort gekauft und die auch in stilsicherem Weiß. Es bleibt also spannend und man wird sehen, was mir der junge Mann als "Sie sind doch nich jung, nehmen sie doch einen frischeren Farbton. Wie wäre es mit..." präsentieren wird. Schlammrote Mäntel habe ich dort allerdings noch nicht gesehen.

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Mittwoch, 15. Mai 2019
Den Wendler machen

Ein Kunde springt nach über zehn Jahren ab und wechselt zu der Konkurrenz. Das ist schon so ein bisschen wie Schluss machen; ich hatte keine Beziehung, die so lange anhielt. Und tatsächlich ist da auch ein kleines bisschen Wut, Verletztheit und Eifersucht mit im Spielt. Was haben die, was ich nicht (mehr) habe? Wie können sie mir das antun? Wieso? Was habe ich falsch gemacht?...

Aber man soll ja nicht nachtragend sein und sich an die gemeinsamen schönen Zeiten erinnern, in denen es natürlich neben vielen Höhen auch schon Tiefen gab, die aber immer wieder überwunden werden konnten. Tatsächlich war es die Midlife Crisis des Kunden. Er wollte was Jüngeres, Spritzigeres und Frisches. Neu sollte es sein, unverbraucht und was hermachen. Dass er sich damit lang- und noch nicht mal mittelfristig etwas Gutes tut, wird ihm wahrscheinlich bald klar werden, aber dann ist es zu spät, das Kind ist in den Brunnen gefallen, die Kuh lange genug auf dem Eis gewesen und eingebrochen und überhaupt ist es dann halt einfach so.
Mit dieser Argumentation kann ich gut leben. Manche Kunden machen eben manchmal den Wendler, sich zum Affen und denken sogar noch, das wäre eine gute Sache. Kann man nicht ändern, ist einfach so.
Den Wendler-Vergleich mag ich; der ist so treffend. Hoffentlich rutscht mir das nicht mal bei einem Call raus - bei anderen Themen bin ich noch mit denen in Kontakt. Andererseits...

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Dienstag, 14. Mai 2019
Anhimmeln und ignorieren

Er ist eine eingeschworene Truppe von Dauerpendlern, die sich jeden Morgen an immer der gleichen Stelle am Gleis trifft. Es laufen immer die gleichen Rituale ab. Zuerst ist der Mann mit der Stachelfrisur da. Zu ihm gesellt sich ein anderer Mann, der immer die gleiche rote Jacke anhat. Mittlerweile sollte sie ihm zu warm sein; er hatte sie den ganzen Winter über an, aber anscheinend besitzt sie wetterresistente Membrane, die sowohl für Kälte, wie auch Wärme gemacht ist. Man wird sehen, was im Sommer ist.
Die erste Frau der Runde kommt dazu; welche der beiden zuerst da ist, ist unterschiedlich. Sie sehen sich ähnlich, es könnten durchaus Schwestern sein. Eine der beiden himmelt einen Mann an, der nun auch zu der Runde gestoßen ist. Er himmelt nicht zurück. Vielleicht haben die beiden was am Laufen, aber niemand aus der Firma soll es mitkriegen, weshalb man sich darauf geeinigt hat, normal miteinander umzugehen. Da sie ihn anhimmelt und er sie ignoriert, funktioniert dieses Konzept hier noch so wirklich.
Mit einer älteren Dame und noch einem Herren ist die Pendlerrunde komplett.

Es ist nie extrem voll im Zug, aber trotzdem sind schon viele Plätze besetzt. Man findet aber immer was und die Pendlertruppe sogar meistens zwei freie Tische nebeneinander. Auch hier ist immer der gleiche Ablauf. Der Mann mit der Stachelfrisur liest Zeitung. Die beiden Schwestern (die wahrscheinlich keine sind) unterhalten sich mit der älteren Dame und dem Mann mit der roten Jacke, eine der Schwestern himmelt über den Gang hinweg den sie ignorierenden Herrn an. Der Rest der Mannschaft sitzt mit verschränkten Armen da und döst. Zumindest bis die Zugbegleitung kommt und die Tickets sehen möchte. Die Pendler haben alle Monatskarten, die Kontrolle geht schnell. Nach nichtmal vierzig Minuten sind wir im Ziel und die Pendler pendeln Richtung S-Bahn, während ich in die andere Richtung zur U-Variante gehe.

Abends treffe ich ein paar der Pendler wieder. Man hat wohl unterschiedliche Arbeitszeit-Modelle und manche machen vielleicht auch Überstunden - man kann sich ja nicht nur anhimmeln und ignorieren. Irgendwann muss auch die Basis dafür geschaffen werden.

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Montag, 13. Mai 2019
Er hat einen Hund

Er habe einen Hund, sagt er. Ein Mischling, irgendwas mit Australian Collie. Das sind diese gefleckten Hunde, die gerade so in sind. Die Flecken beruhen auf einer Genumutation, meine ich mich zu erinnern. Immerhin bei Hunden findet man es also schön, wenn eine Genmutation zu einer Abweichung von der Norm führt - da braucht es ja andernorts oft heftige und ausdauernde Kämpfe, um das den Leuten klar zu machen. Vielleicht wenn Genmutationen bei Menschen auch mit niedlichen Flecken einher gingen... aber nicht mal dann.

Der Hund, sagt er, sei eigentlich ein ganz lieber. Nur bei anderen Menschen reagiert er seltsam. Oder bei anderen Hunden. Oder bei anderen Menschen mit anderen Hunden. Oder Fahrrädern. Und bei Menschen auf Fahrrädern. Ob mit oder ohne Hund sei egal.
Was heißt denn seltsam, frage ich. Na irgendwie so aggressiv, sagt er. Mit Knurren. Kläffen. Und beissen. Ob es denn schon einmal zu einem Kampf kam, frage ich. Nein, nein, sagt er. Natürlich nicht. Nur er sei dreimal gebissen worden. Weil er versucht habe, den Hund vom Beissen eines anderen Hundes abzuhalten. Beim dritten Mal sei er aber nicht mehr zum Arzt. Der könnte ja denken, dass mit dem Hund etwas nicht stimmt.

Ob er denn gedenkt, diesen Hund auch auf das abendliche Fest mitzubringen? Natürlich, sagt er. Man könne das Tier doch nicht alleine zuhause lassen. Da könnte er ja seelischen Schaden nehmen und überhaupt tue das einem Hund nicht gut, wenn er nicht rauskommt.

Mir fällt plötzlich ein dringender Termin ein, den ich völlig vergessen hatte. Ich kann leider nicht dabei sein, bei dem Fest, zu dem ganz viele Leute kommen. Viele mit Fahrrad und einige sicher auch mit Hund. Aber ohne mich. Es ist aber auch eine Schande, wie vergesslich man wird im Alter.

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Sonntag, 12. Mai 2019
Käsekuchen statt Tankstellenblumen

Ich muss bei Facebook auf dem Handy immer aufpassen. Die Autokorrektur führt hier ein seltsames Eigenleben. Kürzlich habe ich jemandem „Alles Gute zum Geburtsgewicht“ gewunschen. Dabei weiß ich noch nicht mal, was er bei der Geburt wog und scheinheilige Glückwünsche ohne Substanz kommen nie gut an.

Heute ist noch ein Tag für Glückwünsche: Muttertag. Die meinige ist unterwegs; ich kann also gar nicht mit Blumen aufkreuzen und sie knuddeln. Als guter Sohn backe ich stattdessen New York Cheesecake, den ich später in ihren Kühlschrank stelle, auf dass sie sich am Abend oder morgen früh darüber erfreue. Dafür gibts noch nicht mal Pluspunkte auf dem Karmakonto; das ist ja wohl klar, dass ohne Geschenk am heutigen Tag nichts geht.
Früher waren es die Blumen von der Tanke, auf dem Heimweg von irgendwelchen Partys völlig überteuert noch auf die Schnelle gekauft, um sie mit rotädrigen Augen und schlechtem Atem mit einer halbherzigen Umarmung und gesenktem Kopf zu übergeben. Die Variante mit selbstgebackenem Kuchen finde ich besser.

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