Samstag, 25. Mai 2019
Getätschelt

Sie hat zuviel getrunken, wie alle, die hier sind. Bei ihr äußert es sich durch Tätscheln am Arm und auf dem Rücken. Der Mann schaut schon etwas konsterniert, was verständlich ist. Sie kriegt das aber gar nicht mit. Oder es stört sie nicht. Beim dritten Gang will er sie zu mehr Wasser und weniger Wein überreden. Er sagt es nicht direkt, aber zwischen den Zeilen schallt es lautstark. Sie nippt tatsächlich seltener am Weinglas, aber es ist eh zu spät.
Die Tätscheleien werden mehr. So langsam merken es auch andere und schauen irritiert herüber. D. beugt sich zu mir rüber und fragt ins Ohr flüsternd, was da los sei. Ich weiß es auch nicht. D. glaubt mir nicht, dass da nichts ist, nie was war und die Intention auch ist, dass da nichts sein wird. Tatsächlich kennen wir uns auch gar nicht so gut, sie ist die Schwester eines Freundes, die ältere Schwester und die beste Freundin der neuen Freundin eines anderen Freundes. Wir haben uns bisher vier, maximal fünf Mal länger unterhalten und so ganz verstehe ich die Situation auch nicht. Wahrscheinlich ist es Schicksal, dass ausgerechnet wir beide nebeneinander sitzen; ansonsten hätte es eben jemand anderen getroffen.

Die Stimmung wird grundsätzlich aufgeheizter, die ersten Leute fangen an zu tanzen und entsprechend der temperamentvollen, südländischen Musik, sind auch die Tänze temperamentvoll. Man kennt sich und das nicht nur vom Hallo sagen auf der Straße. Die Tischnachbarin tanzt nicht. Immerhin diesbezüglich besteht keine Gefahr. Wir bleiben also beim Small Talk mit Tätscheleinheiten. Am Nebentisch sitzt ein alter Bekannter. Er schaut zu uns rüber und grinst. Ich nutze die Chance, entschuldige mich und gehe rüber an den anderen Tisch zu dem Bekannten. Wir reden, testen noch zwei Weine und was hinter mir passiert, kriege ich gar nicht mehr mit. Als ich aufstehe, um einen weiteren Wein zur Verkostung zu holen, schaue ich an meinen eigentlichen Tisch. Die Gläser an ihrem Platz sind leer und werden gerade abgeräumt. Sie sind anscheinend in der Zwischenzeit gegangen. Mit zwei vorzüglichen spanischen Rotweinen komme ich zurück zu meinem alten Bekannten. Den restlichen Abend verbringen wir im Schwelgen in Erinnerungen. Ungetätschelt aber mit einem wohligen Gefühl.

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