Samstag, 24. Februar 2024
In dem Jahr hatte ich Zeit

In dem Jahr hatte ich Zeit. Zum Glück. Es wäre sicher auch anders gegangen, es geht immer irgendwie, aber so hatte es auch etwas Gutes, dass ich Zeit hatte. Und weil ich Zeit hatte, war ich es der gefahren ist. Einfach ist es eine Strecke von knapp 120 Kilometern. Eigentlich keine Entfernung und doch kann es sich ziehen. Wenn man Glück hat, kommt man um die übelsten Staus herum. Meistens hatten wir Glück. Zwei oder dreimal nicht, aber das war dann auf der Heimfahrt und da war es dann eh egal. Wichtig war pünktlich dort zu sein. Zu den Vorbesprechungen, den wichtigen Terminen, den Nachbesprechungen. Und dem großen Tag der „Einlieferung“. Das ist kein schönes Wort und es passt auch gar nicht. Man liefert da nichts und niemanden ein. Es ist auch kein „Abgeben“, wobei es sich zwischendurch so anfühlte. Corona war wieder da, nein es war weiterhin da, aber nun war es wieder präsenter. Drinnen hatten alle Masken auf, die meisten auch einigermaßen korrekt und die, bei denen sie auf Halbmast hing, taten das nicht aus Absicht, sondern weil sie es nicht besser wussten. Oder weil eh schon alles egal war. Wir wussten es besser und egal war uns gar nichts. Mit Maske saßen wir auf den unbequemen Sitzen vor den Kabinen, die an Beichtstühle in einer Kirche erinnert; nur waren es hier gleich zehn Beichtstühle nebeneinander. Eine sündige Stadt, könnte man meinen. Einmal im Jahr ist sie das sicher, es ist eine der Karnevalshochburgen und wenn dort gesündigt wird, dann in der Saison. Da würden aber auch zehn Beichtstühle nicht reichen und es waren ja auch keine, sondern die Anmeldebüros. Hinter jeder Tür saß eine fleißige Person, nahm Daten auf, gab Hinweise, verteilte Papiere und Aufkleber und mit etwas Glück sprach einem die Person auch noch Mut zu. Wir hatten Glück.
Nach dem ganzen Verwaltungsprozedere macht man sich auf die Suche nach dem richtigen Gebäude, dem richtigen Stock und nach den richtigen Personen, die einem dann weiterhelfen können. Und dann ist man eingeliefert.

Mittlerweile habe ich nicht mehr soviel Zeit, aber die Fahrten dorthin sind ja auch vorbei. So wie überhaupt alles endlich mal vorbei ist. So dachte man. So dachte man allerdings auch schon vor zwanzig Jahren, als es zum ersten Mal hieß, dass da etwas nicht stimmt und man sich das mal genauer anschauen müsse. Ähnlich wie da, als ich Zeit hatte. Da hatte man sich auch etwas mal genauer anschauen müssen und weil das, was man da gesehen hatte nicht so toll war, hat man es sich noch woanders genauer anschauen lassen. Dort war das Gesehene auch nicht toll, aber immerhin war man bereit es auf einen Versuch ankommen zu lassen. Es dauerte eine Weile bis man sich zumindest halbwegs sicher sein konnte, aber der Versuch schien geglückt. Scheint er immer noch. Vielleicht fühlt sich das Schicksal deshalb um seine Chance betrogen und will nochmal. Alles oder nichts.

Ich habe nicht mehr soviel Zeit, aber zum nächsten Termin werde ich wieder der Fahrer sein. Und für die folgenden Termine auch. Es ist nicht mehr so weit, keine 120 Kilometer einfach, aber selbst die würde ich wieder fahren. Und die Zeit, die ich eigentlich nicht mehr habe, nehme ich mir, denn ansonsten ist es Zeit, von der man sich am Ende viel mehr gewünscht hätte. Wenn alles nur so einfach wäre, wie ein Urlaubstag einreichen.

referral   ... link (0 Kommentare)   ... comment