Donnerstag, 10. Mai 2012
Kopfwackeln

In der Spelunke sitzt immer mein ehemaliger Hausarzt. Er ist der gleiche Jahrgang wie mein Vater und früher ist man dann eben zu ihm, wenn es irgendwo gezwickt hat. Später dann eher nicht mehr, denn er war schwerer Alkoholiker. Ich erinnere mich, wie ich mal eine richtig heftige Erkältung hatte und auf der Suche nach Linderung der Beschwerden zu ihm gegangen bin. Seine erste Frage war, wie lange ich krankgeschrieben werden möchte. Darum ging es mir aber gar nicht, ich wollte was gegen den heftigen Husten und überhaupt wissen, was Sache ist. Sagte ich ihm auch. Es dauerte ein bisschen, bis er sein Stethoskop gefunden hatte. Er hörte halbherzig Rücken und Brust ab, die Zunge streckte ich auch raus, nachdem er mit dem Spatel endlich den Mund getroffen hatte. Ob ich das Medikament, das auf dem Rezept stand tatsächlich auch geholt habe, weiß ich nicht mehr genau. Eher nicht. Aver wie das bei schweren Erkältungen so ist: ich wurde wieder gesund. Er nicht. Heute saß er wieder in der Spelunke. Sein Kopf bewegt sich nervös, fast wie bei einer Taube. Er trinkt schon lange nicht mehr, aber irgendeine Krankheit hat er. Welche, weiß niemand. Seine Frau ist bis zum Anschlag religiös, sieht das alles als gottgegeben und kümmert sich lieber um der Erhalt kirchlicher Belange als um ihren Mann. Ob er Kinder hat weiß ich nicht. Er trinkt immer einen Kaffee und ein Glas Leitungswasser. Das bestellt er wenn er reinkommt und es hält den ganzen Abend. Dazu raucht er Zigarette um Zigarette. Und wackelt dabei mit dem Kopf. Von den anderen Anwesenden war schon so ziemlich jeder schon einmal in seiner Praxis. Früher. Als das Kopfwackeln noch nicht war und er tatsächlich praktizierte. Manche waren auch später noch dort, wenn sie einen Krankmeldung brauchten, aber nicht wirklich krank waren.
Kürzlich hat er mich angesprochen. Was das für eine Party wäre da hinten. Ich habe es ihm erzählt und sein Kopf wackelte. Ob das bedeuten sollte, dass er verstanden hat oder der Kopf einfach so wackelte... man weiß es nicht. Ebenso wenig weiß man, was er macht, wenn er nicht in der Spelunke sitzt. Wahrscheinlich auch mit dem Kopf wackeln, aber wenn man sonst nichts macht, ziehen sich die Tage schon sehr.

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